Cans can
Die Konservendose ist das Massenprodukt schlechthin. Dafür brauchte es allerdings viele einzelne Innovationen. Und die Geschichte des runden Blechbehälters ist noch nicht zu Ende.
1962 malt Andy Warhol 32 Suppendosen auf 51x41 cm grosse Leinwände. Nachdem er den letzten Pinselstrich getan hat, hängt der New Yorker Künstler die Bilder übereinander gereiht an die Wand. Der Betrachter fühlt sich wie vor einem Regal im Supermarkt. Die «Campbell’s Soup Cans» bringen die Pop-Art-Bewegung zum Durchbruch.
Für die Konservendose ist es bereits der zweite Grosserfolg. Ihren eigentlichen Siegeszug feierte die Blechverpackung um 1900: mit dem Sprung in die Haushalte. Bis dahin brauchte es jedoch fast ein Jahrhundert. Und viele einzelne Erfindungen.
1810: Die Hitzekonservierung
Am Anfang der Geschichte steht Napoleon. Dieser wird 1795 Anführer der französischen Armee und sucht eine Lösung, um sein riesiges Heer auf dem Schlachtfeld zu ernähren. Plünderungen reichen bald nicht mehr aus. Also setzt der kriegsverliebte Korse 12'000 Goldfranc auf ein neues Verfahren aus, das Lebensmittel effektiv haltbar macht. Bisher gelang das mehr schlecht als recht; durch Salzen, Trocknen, Dörren oder Räuchern.
15 Jahre später ist es soweit: Der französische Zuckerbäcker Nicolas Appert kassiert das Preisgeld – für «die Kunst, alle animalischen und vegetabilischen Substanzen über mehrere Jahre zu erhalten». Apperts Erkenntnis: Esswaren verderben nicht, wenn man sie hermetisch in Glasflaschen verschliesst und anschliessend im Wasserbad mithilfe von Hitze sterilisiert. Da durch den luftdichten Verschluss keine neuen Mikroorganismen ins Essen gelangen können, wird die Zersetzung verhindert. Die Hitzekonservierung ist eine Revolution.
Ebenfalls 1810: Die Weissblechdose
Glasflaschen sind aber schwer und zerbrechlich – auf dem Schlachtfeld höchst unpraktisch. Dies macht sich der gewiefte Kaufmann Peter Durand zunutze. Noch 1810 kauft er eine vielversprechende Idee des französischen Technikers Philippe Henry de Girard: die Konservendose aus Weissblech. Das bruchsichere Material muss nicht so dick sein wie Glas und gerät durch Kaltwalzen schon jetzt relativ dünn. Sein Zinnbezug schützt das Blech vor Korrosion. Zur Dose geformt entsteht eine widerstandsfähige, leichte Verpackung. Durand lässt die Erfindung schützen und verkauft das Patent an zwei britische Unternehmer, die die erste kommerzielle Konservendosenfabrik der Welt gründen.
1858: Der Dosenöffner
Noch ist Essen aus der Dose jedoch gefährlich. Erst einmal luftdicht verschlossen, geht der Behälter nämlich nur mit Gewalt wieder auf. Die Soldaten behelfen sich mit ihren Bajonetten – nicht selten fällt ein Finger. Erst 1858 kommt die Erlösung: Der britische Erfinder Robert Yeates lässt den ersten Dosenöffner patentieren. Das Prinzip: Ein Haken hält sich am Deckelrand fest, ein zweiter sticht in kurzen Abständen Löcher ins Blech, sodass ein Riss entsteht. Der Dosenöffner mit Schneidrad kommt 1870 aus den USA.
Um 1900: Dosenverschliessmaschine und Autoklav
Zwei weitere Gefahren bringt die Konservendosenproduktion: Beim Verschliessen der Dosen in Handarbeit gelangt hin und wieder Lötmittel in die Speisen – viele Soldaten sterben an Bleivergiftung. Das zweite Risiko ist das Sterilisieren der Konserven: Nicht immer sterben alle Bakterien. Etwa in Fleischkonserven kann sich tödliches Botulinumtoxin (Botox) bilden.
Die Industrie 2.0 macht Schluss mit dem russischen Dosen-Roulette: Das Verschliessen passiert jetzt mit spezialisierten Maschinen. Und im Autoklav – einem Druckbehälter – überleben auch die widerspenstigsten Mikroben nicht lange; dafür sorgen Temperaturen weit über dem Wassersiedepunkt von 100 Grad.
Die neue industrielle Fertigung verändert ohnehin alles: Brauchte ein Handwerksbetrieb bisher eine volle Stunde, um eine einzige Dose herzustellen, geht nun alles ganz schnell:
- Dosenrumpf, Deckel und Boden aus einem Stück Blech zuschneiden
- Rumpf biegen und zusammenschweissen
- Boden anbringen
- Dose befüllen und luftdicht verschliessen
- Konserve im Autoklav erhitzen
Darum ist die Konservendose rund und gerillt
Konservendosen werden bereits luftdicht verschlossen erhitzt – nur so funktioniert die Appert’sche Konservierung. Das Problem: Mit steigenden Temperaturen nimmt das Volumen des Doseninhalts zu – und damit auch der Druck auf die Verpackung. Die Lösung: die Form der Konservendose. Da sich der Inhalt nämlich kugelförmig ausdehnt, ist die zylinderförmige Dose dem Druck viel besser gewachsen als ein eckiger Behälter.
Für besondere Stabilität beim Stapeln sorgen die typischen Rillen – die «Sicken». Durch sie verteilt sich Druck auf die Dosenfläche gleichmässig. Es ist dasselbe Prinzip wie beim Wellkarton: Die nebeneinander liegenden Rillen machen das Material so stabil.
Bereit für die Massen
Schon im Jahr 1900 werden alleine in den USA 700 Millionen Konservendosen hergestellt. Bald ernähren sie so viele Soldaten wie nie zuvor. Für den Schriftsteller George Orwell wird einmal feststehen: Ohne die Dose aus Weissblech hätte es den ersten Weltkrieg nie gegeben. Aber auch Zivilisten können sich nun Konservendosen leisten – die Massenproduktion hat sie stark verbilligt.
Zum Star unter den Konservendosen entwickelt sich ab 1933 übrigens die Getränkedose: In diesem Jahr bringt sie die «Gottfried Krueger Brewing Company» auf den Markt – der Umsatz der Brauerei aus New Jersey steigt um über 500 Prozent. Erste Tests von Coca-Cola lassen nicht lange auf sich warten. Die Entwicklungsarbeit dauert aber; bis die Cola-Dose in den Verkauf kommt, ist es 1960. Wegen der noch besseren Formbarkeit des Materials besteht sie – wie die meisten Getränkedosen – bald aus Aluminium. Die Dosen-Coke wird zum Kassenschlager neben dem Dosenbier.
Einen lässt dies allerdings kalt: Andy Warhol. Als sich der Pop-Art-Künstler in den 1960ern mit Coca-Cola beschäftigt, interessiert ihn jedenfalls nur die Flasche. Diese verwendet er dafür gleich für eine ganze Serie. Warhols «Coca Cola Bottles» dürften heute ähnlich berühmt sein wie seine «Campbell’s Soup Cans».
Everything has its beauty, but not everyone sees it.
Und die Geschichte geht weiter
Die Entwicklung der Konservendose ist noch nicht abgeschlossen. Aktuell arbeiten Industrie und Wissenschaft vor allem daran, Essen aus der Dose grüner und gesünder zu machen. Initiativen sind:
- Dünnere Dosenwände: Speziell Aluminium gilt als Umweltsünder. Die Kritikpunkte: abgeholzte Regenwälder, ein enormer Stromverbrauch, giftige Nebenprodukte bei der Produktion. Zwar wird das Material mittlerweile recycelt. Doch selbst bei hohen Recyclingquoten geht es nicht ohne neue Rohstoffe. Diesen Bedarf versucht die Industrie mit dünneren Dosenwänden zu reduzieren. Aludosen sind heute bis zu 0,07 mm dünn; das entspricht bei 0,33 l einem Gewicht von unter 10 g. 1930 waren es 100 g.
- Lacke ohne Gesundheitsrisiken: Modernere Konservendosen sind im Inneren beschichtet. Damit bleibt das Essen garantiert frei von Schwermetallen und die Verpackung umgekehrt vor Lebensmittelsäuren geschützt. Dafür enthalten die üblichen Dosen-Innenlacke den hormonschädlichen Stoff Bisphenol A. Nun tüftelt etwa das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart an Innenlackierungen ohne diesen Stoff.
- Neue Verfahren für mehr Vitamine: Zwar bleiben in modernen Konservendosen rund 70 Prozent der Vitamine erhalten. Diese Quote soll aber noch steigen. Forscher der Universität Hohenheim haben das für Gemüse schon mal geschafft. In ihrem Verfahren wird Gemüse erst in eine calciumhaltige Flüssigkeit getaucht und die luftdicht verschlossene Dose danach mit verschiedenen Temperaturen so behandelt, dass schädliche Enzyme inaktiviert, erwünschte wiederum aktiviert werden. Damit bleiben nicht nur mehr Nährstoffe erhalten; das Gemüse bleibt auch knackig.
Text:
Illustration: Nguyen Tan