«Die Neandertaler standen deutlich mehr unter Druck als wir»
Creaholic hat Erfindergeist in der DNA: In den 1980er-Jahren waren die Gründer des Unternehmens an der Erfindung der Swatch beteiligt. Heute entwickeln die innovativen Köpfe aus der Uhrenmetropole Biel gemeinsam mit anderen Firmen neue Produkte und Dienstleistungen. Ein Gespräch mit Mitgründer Marcel Aeschlimann.
Picasso sagte einmal, dass jedes Kind ein Künstler sei und die Schwierigkeit darin liege, als Erwachsener einer zu bleiben. Ist es mit Innovationen ähnlich? Wären wir alle innovativer, wenn wir mehr auf das Kind in uns hören würden?
Kindliche Neugierde und Verspieltheit hilft sicherlich, doch das Kreative ist nur die eine Seite. Um erfolgreiche Innovationen zu entwickeln, braucht es vor allem auch ein Gespür für den Markt und Leidenschaft fürs Unternehmertum.
Kann man das Erfinden lernen?
Ich glaube schon. Viele Menschen haben einen Innovationssinn, doch diesen kann und muss man auch trainieren. Wir bei Creaholic machen das tagtäglich, denn das ist unsere Passion. Ein guter Skifahrer wird man ja schliesslich auch nicht ohne Training.
Wie entscheidend ist der «Heureka»-Moment?
Meist gibt es nicht nur ein finales «Heureka!», sondern ganz viele davon. Bei bahnbrechenden Innovationen wird im Nachhinein oft nur die eine zündende Idee ins Zentrum gestellt, doch hinter einem erfolgreichen Produkt stecken in der Regel viele entscheidende Momente. Und immer wirken auch verschiedenste Personen mit, nicht nur ein genialer Kopf.
Innovation bedeutet also Teamwork?
Ich habe die besten Ideen, wenn ich allein im Bett liege und denke – aber nur, wenn ich die Ideen vorher mit meinem Team intensiv diskutiert habe. Man muss die Fähigkeit haben, das Unterbewusstsein zu füttern, und das geht nur mit einem tollen Team. Die Idee muss quasi vom Team inspiriert werden. Schon die Griechen sagten: Wenn du eine gute Idee haben willst, so musst du dich von einer Muse inspirieren lassen. Wir bei Creaholic sind eigentlich alles Musen, die einander gegenseitig inspirieren.
Welche Rolle spielen dabei Zweifel?
Die besten Erfinder sind Zweifler. Ideen sind nur selten von Anfang an wirklich gut, die meisten sind noch nicht ausgereift, und man muss sie hinterfragen. Wer innovativ sein will, muss einerseits genügend Selbstsicherheit haben, um seinen Weg zu gehen, andererseits aber auch genügend selbstkritisch sein, um diesen Weg immer wieder zu hinterfragen.
Und wie steht es um das Scheitern? Mir scheint, dass dies in der Schweiz verpönt ist, während man zum Beispiel in den USA viel entspannter mit Niederlagen umgeht. Wie nehmen Sie das wahr?
Das ist in der Tat so. Wir Schweizer sind sehr hartnäckig, wenn es darum geht, eine Idee zum Erfolg zu bringen. Die Kehrseite davon ist, dass wir uns Fehler manchmal zu lange nicht eingestehen. Auch wir bei Creaholic mussten erst lernen, aus unseren Fehlern zu lernen. Heute können wir das besser als früher.
Die besten Erfinder sind Zweifler. Ideen sind nur selten von Anfang an wirklich gut.
Gibt es so etwas wie eine Formel, um Lösungen für Probleme zu entwickeln?
Es gibt Tausende von Innovationsbüchern, und jedes verkauft seine Methode als die einzig richtige. Mir kommt das manchmal ein wenig vor wie all diese Diätbücher. Das Entscheidende ist, zu wissen, welche Methode in der aktuellen Situation am besten geeignet ist.
Mit welcher Methode arbeiten Sie?
Wir haben unseren eigenen Ansatz entwickelt, den «Gas-Liquid-Solid»-Mindset. Bei uns entstehen Innovationen in drei Phasen: Im Gas-Zustand sind die Moleküle frei, und Ideen können komplett neu gedacht werden. In der Liquid-Phase kondensieren sich die Ideen zu etwas Machbarem, und im Solid-Modus entsteht schliesslich die Lösung. Der Gas-Zustand ist der wichtigste. Bildlich gesprochen trifft dort das Molekül Stuhl mit dem Molekül Dynamit aufeinander – zusammen ergibt das die Idee des Schleudersitzes. Wer den Stuhl immer nur als Möbel denkt, würde darauf nicht kommen.
Welche drei Faktoren sind aus Ihrer Sicht entscheidend, um ein erfolgreiches Produkt zu lancieren?
An vorderster Stelle steht für mich das Marktbedürfnis und an zweiter Stelle die Konkurrenzfähigkeit. Die Genialität des Produkts in technologischer Hinsicht kommt für mich erst an dritter Stelle, obwohl ich Ingenieur bin.
Christina Taylor von Creaholic hat kürzlich ein Buch über Human Centered Design (HCD) veröffentlicht. Was steckt hinter diesem Konzept?
Viele glauben, dass bei Innovationen die Technologie im Zentrum steht. Das Kundenbedürfnis geht oft vergessen. HCD verfolgt die Philosophie, Produkte und Dienstleistungen mit einer konsequent kundenzentrierten Perspektive zu entwickeln. Das bedeutet in erster Linie, dass das neue Angebot relevante Lösungen für Kunden bieten muss. Apple ist ein gutes Beispiel dafür: Die Produkte fühlen sich gut an und sind einfach zu bedienen. Natürlich darf man dabei auch die Wirtschaftlichkeit nicht vergessen. Unserer Meinung nach ist die Treffsicherheit einer Innovation am höchsten, wenn man diese drei Aspekte – das Kundenbedürfnis, die Wirtschaftlichkeit und die Technologie – in den Mittelpunkt stellt.
Wie findet man heraus, was die Kunden wirklich wollen? Oder anders gefragt: Was geht vor, ein bestehendes Bedürfnis zu befriedigen oder neue Bedürfnisse zu schaffen?
Häufig ist das gar nicht die zentrale Frage, leider. Viele Unternehmen kommen bereits mit konkreten Ideen auf uns zu, welche wir stets genau durchleuchten. Wir wollen herausfinden, ob mit der Idee effektiv ein Kundenbedürfnis adressiert wird. Es ist ein wichtiger Teil des Innovationsprozesses, Bedürfnisse und deren Kontext genau zu überprüfen.
Ein wichtiger Teil des Innovationsprozesses ist es, Kundenbedürfnisse genau zu überprüfen.
Und wie schafft man es, dass sich der Kunde wohlfühlt?
Indem man ein angenehmes Erlebnis kreiert. Ein gutes Beispiel dafür sind die Shops des Schweizer Telecom-Anbieters Swisscom. Früher waren diese eher kalt und steril. Heute erinnert das Interieur an eine gemütliche Küche. Es ist für den Kunden ein angenehmeres Erlebnis, wenn er Produkte in entspannter Atmosphäre ausprobieren kann, als wenn er einfach vor einem Regal steht.
Zurück zum Beispiel Apple: Warum bringt dieses einst so innovative Unternehmen heute kaum noch Innovationen hervor?
Ich glaube, dass es für grosse Unternehmen grundsätzlich sehr schwierig ist, disruptive Innovationen auf den Markt zu bringen.
Warum?
Wenn man den Mount Everest besteigt, dann fühlt man sich wohler in einem kleinen Team als in einem grossen. Genau so ist es in der Produktentwicklung. Unternehmen wie das unsrige erlauben es grossen Firmen, Innovationen in überschaubaren Teams zu entwickeln.
Wenn man den Mount Everest besteigt, fühlt man sich wohler in einem kleinen Team. Genau so ist es in der Produktentwicklung
Viele Unternehmen wollen agiler werden. Geht das innerhalb der althergebrachten Strukturen und Hierarchien überhaupt?
Nein. Wer agile Prozesse etablieren will, muss dazu bereit sein, alte Strukturen aufzubrechen. Aber es muss auch nicht jeder Unternehmenszweig agile Strukturen einführen. Bei Produktions- oder Logistikprozessen zum Beispiel sehe ich eher Nachteile.
Sie arbeiten mit Unternehmen aus verschiedensten Branchen zusammen. Wie gross sind dabei die Unterschiede?
Sie werden immer kleiner, denn die verschiedenen Wirtschaftszweige verschmelzen zunehmend. Ein Fahrzeug zum Beispiel hat heute auch eine Kommunikationsfunktion und ein Lebensmittel einen Gesundheitsaspekt.
Die Kunden von Bystronic sind mehrheitlich Lohnfertiger. Wie können diese in einer globalisierten Welt konkurrenzfähig bleiben?
Es geht darum, besser zu sein als die anderen. Mit besser meine ich vor allem den intelligenten Umgang mit Daten und Know-how. Speziell im westeuropäischen Raum, wo es nicht nur um den Preis geht, scheint mir das wichtig.
Wie stehen Sie der Digitalisierung gegenüber? Ist das für Sie eine rein positive Entwicklung oder sehen Sie auch negative Aspekte?
Ich bin der Digitalisierung gegenüber zu 100 Prozent positiv gestimmt, insbesondere, weil dadurch zeitraubende manuelle Prozesse automatisiert werden. Ich denke, wir können diese Zeit sinnvoller einsetzen. Natürlich hat jede Technologie auch ihre Schattenseiten: Man kann eine Smartwatch nutzen, um ein Date zu vereinbaren oder einen Terroranschlag zu verüben. Zum Glück nutzt aber die grosse Mehrheit neue Technologien in positiver Absicht.
Man hört immer wieder, dass das Tempo heute höher sei als früher und dadurch auch der Druck. Teilen Sie diese Meinung?
Die Neandertaler standen wahrscheinlich deutlich mehr unter Druck als wir. Sie mussten sich vor wilden Tieren schützen und ständig ums Überleben kämpfen. Ich denke oft, dass wir in der Schweiz zu wenig Druck haben. Es geht uns einfach sehr gut, und das macht uns auch bequem. Die Coronakrise sorgt aktuell für etwas mehr Druck. Ich hoffe, dass wir dies für positive Veränderungen nutzen können.
Was haben Sie aus der Krise gelernt?
Früher bin ich oft stundenlang gereist, um ein Meeting abzuhalten. Heute weiss ich, dass das nicht unbedingt nötig ist.
Gibt es eine Erfindung, die Sie gerne noch machen würden?
Das Beamen. Ich denke, das könnten wir alle gut gebrauchen.
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Über Creaholic und Marcel Aeschlimann
Marcel Aeschlimann ist geschäftsführender Partner und Verwaltungsratspräsident von Creaholic. Das Unternehmen hat seit der Gründung im Jahr 1986 rund 1000 Innovationsprojekte umgesetzt und dabei rund 250 Patentfamilien mitentwickelt.
Fotografie und Text: