Ein Gespräch über Zeitreisen

Die Idee, in die Vergangenheit oder Zukunft zu reisen, fasziniert: Doch sind Zeitreisen überhaupt denkbar und wären sie so, wie in vielen Filmen dargestellt? Philosoph und Physiker Norman Sieroka gibt Auskunft.

Illustration of Norman Sieroka sitting in a time machine

Herr Sieroka, Sie befassen sich viel mit der Zeit. Sind Zeitreisen möglich?

Theoretisch, ja. Zum Beispiel gibt es in der Physik das Modell des Gödel-Universums, das Zeitschleifen beinhaltet. Im Prinzip wäre denkbar, dass ein Astronaut auf seinem Weg durchs Weltall wieder zu seinem Ursprungsort zurückkehrt – und damit auch zu einem Zeitpunkt, den es sozusagen «schon mal gab». Es wird aber kaum je möglich sein, dies in die Praxis umzusetzen. Doch das Thema Zeit ist nicht nur für die Physik spannend, sondern auch für die Philosophie.

Weshalb?

In der Philosophie gibt es viele Fragen, die mit der Zeit zu tun haben. Wir fragen uns etwa, ob wir gegenüber früheren und künftigen Generationen eine Verantwortung tragen. Beim Thema Zeitreisen stellt sich die Frage, ob es die Vergangenheit überhaupt noch gibt – so wie es in vielen Filmen vorausgesetzt wird. Eine ethische Frage ist auch, ob man Täter erst nach ihrer Tat bestrafen darf oder schon davor – ein Thema, das im Film «Minority Report» sehr unterhaltsam umgesetzt wurde.

Das Thema Zeit ist nicht nur für die Physik spannend, sondern auch für die Philosophie

«Zurück in die Zukunft», «12 Monkeys», «Die Frau des Zeitreisenden» oder «Butterfly Effect»: Die Liste der Filme über Zeitreisen ist lang. Wie realistisch sind diese?

Die Filme haben oft einen wahren physikalischen Kern – doch es bleiben in der Regel Lücken. Deshalb könnten die Zeitreisen so, wie sie in den Filmen dargestellt werden, nicht funktionieren. Interessant ist, dass sich das Genre im Film stets weiterentwickelt, da das Publikum die Thematik schon kennt. Die Umsetzung wird immer bunter, wie zum Beispiel im Superheldenfilm «Doctor Strange». Doch einen Denkfehler haben viele Filme: Denn die Vergangenheit liesse sich auch durch Zeitreisen nicht ändern. 

Die Zukunft, aus der der Zeitreisende kommt, würde es dann gar nicht geben – folglich könnte er auch nicht zurückreisen, um die Vergangenheit zu ändern.

Wieso nicht?

Weil es unlogisch wäre: Die Vergangenheit ist ja bereits passiert. Zudem: Eine Veränderung der Vergangenheit würde auch den weiteren Verlauf der Zeit ändern. Die Zukunft, aus der der Zeitreisende kommt, würde es dann gar nicht geben – folglich könnte er auch nicht zurückreisen, um die Vergangenheit zu ändern. Um hier die Logik zu retten, müsste man beispielsweise annehmen, es gäbe mehrere Versionen der Vergangenheit: Eine, wie wir sie kennen und eine veränderte. Oder aber man sagt, der durch einen Zeitreisenden veränderte Vergangenheitsabschnitt war schon immer so. 

Würden Sie eine Zeitreise machen, wenn Sie es könnten?

Vielleicht – wobei ich hoffentlich der Versuchung widerstehen würde, mir in der Zukunft die Lottozahlen anzuschauen. Wahrscheinlich würde ich ins antike Griechenland reisen: zu den Anfängen unserer westlichen Philosophie und Wissenschaft.

Illustration of Norman Sieroka sitting in a time machine

Über Norman Sieroka

Norman Sieroka studierte Philosophie, Physik und Mathematik in Heidelberg und Cambridge. Er ist Professor für Philosophie an der Universität Bremen sowie Dozent an der ETH Zürich. 2018 ist sein Buch «Philosophie der Zeit – Grundlagen und Perspektiven» in der Reihe C.H.Beck-Wissen erschienen.

Text:

Andrea Schmits

Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Smart Homes: Die Zukunft ist näher, als wir denken. Als Journalistin begeistere ich mich für viele Themen – und erzähle den Lesern gerne die zugehörigen Geschichten. Das tue ich seit über zehn Jahren für Print- und Onlinemagazine, Tageszeitungen oder Blogs. Zuvor studierte ich Publizistik und Soziologie an der Universität Zürich.

Illustration: Ryan Sanchez

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