«Das autonome Fahren wird eine Revolution»

Autonom fahrende Taxis sollen in Zukunft das eigene Auto ersetzen, sagt Verkehrsplaner Thomas Sauter-Servaes. Durch Carsharing würde die Anzahl der Fahrzeuge reduziert und Platz gewonnen – das Resultat wären mehr Grünflächen und Fahrradwege, bessere Luft und viel weniger Unfälle. Hinzu kommen autonome Busse, die schon jetzt erfolgreich getestet werden.

Thomas Sauter-Servaes and an autonomous taxi

Herr Sauter-Servaes, viele Städte testen zurzeit autonome Fahrzeuge.Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Das kann man gar nicht gross genug denken. Wird das automatische Fahren flächendeckend eingesetzt, ist das keine Evolution, sondern eine Revolution. Man kann diesen Wandel mit dem Übergang vom «Dumbphone» zum Smartphone vergleichen: Das hat unser Leben komplett umgestellt. Wichtig ist aber, dass wir die Technologie so nutzen, dass sie unser Leben verbessert.

Was meinen Sie damit?

Wenn jeder Lenker einfach sein privates Auto durch ein automatisch fahrendes Fahrzeug ersetzt, haben wir nichts gewonnen, im Gegenteil: Das automatische Fahren erschliesst neue Zielgruppen wie Kinder und Senioren. Das Resultat wäre noch mehr Verkehr auf den Strassen. Das müssen wir verhindern.

Was ist die Alternative?

Um das Potenzial der neuen Technologie zu nutzen, muss die Gesellschaft umdenken: Breit diskutiert wird die Idee des Car-on-Demand, also eine Art des Carsharings für alle. In Kombination mit dem Teilen von Fahrten wäre das sinnvoll.

Wie funktioniert das?

Bei Car-on-Demand hat niemand mehr ein eigenes Auto. Autonom fahrende Autos holen ihre Passagiere entweder zu Hause oder an virtuellen Haltestellen ab. Dabei können im besten Fall verschiedene Fahrtanfragen von einem Fahrzeug gebündelt bedient werden.

Und niemand läuft mehr?

Das darf natürlich nicht passieren. Stadtstrassen müssen von Transit- wieder zu attraktiven Aufenthaltsräumen werden. Wichtig ist, dass die gewonnenen Flächen dazu genutzt werden, die Städte fussgänger- und velofreundlicher zu machen.

Selbstfahrer verstopfen die Städte und gefährden den Verkehr.

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Werden autonome Autos den heutigen ÖV ersetzen?

Nein, im besten Fall verschwimmen zwar die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Verkehr. Doch auf den grossen Verkehrsachsen macht es weiterhin Sinn, die Passagiere flächeneffizient in grossen Fahrzeugen wie Zügen zu bündeln.

Welches Potenzial hat die autonome Mobilität für den Güterverkehr?

Hier sind die Chancen noch besser als beim Privatverkehr, weil keine Emotionen dabei sind. Da wird einfach nur gerechnet. Heute schon wird das sogenannte Platooning getestet: Dabei fahren mehrere Lkws in einer Kolonne, doch nur der vorderste wird von einem Fahrer gesteuert. Es handelt sich um eine Zwischenstufe zur vollständigen Automation.

Das hört sich an, als wären wir schon bald von autonomen Fahrzeugen umgeben.

Nein, die Entwicklung steht noch ganz am Anfang. Manche sagen, schon in ein paar Jahren kämen die ersten autonomen Pkw auf den Markt. Das halte ich für übertrieben. Die Technik und die notwendigen regulatorischen Anpassungen sind zu komplex. Doch wir müssen uns darauf vorbereiten. Wir brauchen eine Vision für das Gesamtverkehrssystem 2050. Die technischen Antworten entwickeln sich rasant, jetzt müssen wir die richtigen Fragen stellen. Denn alle sind sich einig: Das autonome Fahren kommt.

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Zur Person

Thomas Sauter-Servaes leitet den Ingenieurstudiengang Verkehrssysteme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Gleichzeitig forscht er an der ZHAW School of Engineering mit dem Fokus auf innovative Services und Geschäftsmodelle im Bereich Mobilität.

zhaw.ch

Text:

Andrea Schmits

Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Smart Homes: Die Zukunft ist näher, als wir denken. Als Journalistin begeistere ich mich für viele Themen – und erzähle den Lesern gerne die zugehörigen Geschichten. Das tue ich seit über zehn Jahren für Print- und Onlinemagazine, Tageszeitungen oder Blogs. Zuvor studierte ich Publizistik und Soziologie an der Universität Zürich.

Fotografie: Julian Salinas

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