Digitaler Twin verleiht Metaverse Flügel

In der virtuellen Parallelwelt herrscht Goldgräberstimmung. Der Wettlauf um die richtige Positionierung im Metaverse hat begonnen. Mit seinen digitalen Zwillingen ist das Schweizer Startup Nomoko der Konkurrenz zumindest in einem Bereich bereits voraus.

A1 Marzia de Domenici

Das Metaverse, das gelobte digitale Land der Zukunft. Seit einiger Zeit dreht sich die Welt vor allem um ihr virtuelles Abbild: das Metaverse,  Nachdem sich Social Media-Gigant Facebook offiziell in Meta umbenannt hat und das Paralleluniversum zum Zentrum seiner künftigen Aktivitäten erkoren hat, ist der Hype noch grösser geworden.

Aktien von Unternehmen wie dem Digitalisierungspezialisten Matterport oder dem Grafikkartenhersteller Nvidia schossen phasenweise durch die Decke; alle wollten plötzlich Teil der neuen virtuellen Welt sein. Es brauchte einen Dämpfer von Facebook – pardon Meta – höchst selbst, um die Euphorie ein wenig zu bremsen. Die Realisierung eines Metaverse nach den Vorstellungen des «Zuckerberg-Konzerns» dürfte noch 15 bis 20 Jahre dauern.

Portrait Nilson
Portrait Nilson

«Ich denke beim Metaverse an ein digitales Abbild der physischen Welt, welches die Infrastruktur für künftige technische Innovationen bildet»

Nilson Kufus, Nomoko

Digitale Zwillinge von Realitäten

Den Hype am eigenen Leib miterlebt hat Nilson Kufus. Der Gründer des Schweizer Start-Ups Nomoko konnte zusehen, wie dem Metaverse in seinem Umfeld eine immer höhere Zukunftsrelevanz zugestanden wurde. Nicht zuletzt, seit sich Facebook so klar zur digitalen Parallelwelt bekannt hat. Einen «Riesenboost» habe das der Vision gegeben, sagt Kufus. Zuletzt sei es öfters vorgekommen, dass Gespräche bei Essen mit Freunden auf das Metaverse gekommen seien und das Thema leidenschaftlich diskutiert wurde. «Sowas hat es in dieser Form bis vor kurzem nicht gegeben. Diese Entwicklung ist neu». Dabei hätten viele der Anwesenden nicht gewusst, dass das Metaverse für einen am Tisch bereits viel mehr ist als nur eine Zukunftsvision.

Tatsächlich ist Nomoko eine der ersten Firmen, die das Metaverse-Prinzip mit physischen Projekten implementiert. Man kann das Start-Up als Plattform-Anbieter beschreiben, der ein Metaverse für die physische Welt erstellt. Die ursprüngliche Idee bestand darin, mit einer selbstentwickelten, ultra-hochauflösenden Kameratechnologie Simulationen von Städten und Landschaften zu kreieren – ein digitales Abbild der Realität. Inspiriert dazu wurde Kufus während seines Studiums «Liberal Arts & Science» in Maastricht. 2014 startete er mit der Entwicklung, ein Jahr später gründete er gemeinsam mit Kevin Mersch, den er an der ETH Zürich kennenlernte, Nomoko. Mersch brachte seinen Schulfreund Vincent Pedrini mit in die Firma ein, den dritten Mitgründer des innovativen Tech-Start-Ups. Ab 2017 begann das Trio mit der technischen Umsetzung.

g

A4 Marzia de Domenici
A4 Marzia de Domenici

Zu Beginn flog Nomoko mit seinen Highend-Kameras über Städte, um mittels millimetergenauer Drohnen-Aufnahmen realistische 3D-Modelle zu erstellen, sogenannte «digitale Zwillinge». «Wir haben mit der Entwicklung von Hardware begonnen, aber heute konzentrieren wir uns auf den gesamten Prozess der Erstellung des digitalen Zwillings», sagt Kufus. «Mehrwert bringen vor allem die digital Twins, und bei ihnen ist 3D-Technologie nur ein Layer von vielen».

Tatsächlich ist das Anwendungsgebiet der digitalen Zwillinge gigantisch. Autonome Transportmittel wie Drohnen, Augmented und Virtual Reality, Stadtentwicklungen, Game- oder Filmprojekte, Forschung, Bildung – überall können sie ein zentrales Element sein. Doch die wirtschaftliche Realität kann noch nicht mit den hochtrabenden technischen Ambitionen mithalten. Bis beispielsweise selbstfahrende Autos den Alltag dominieren werden, dürften noch viele Jahre vergehen. Entsprechende Simulationen, die Nomoko mit einem digitalen Zwilling einer Stadt samt allen Daten rund um das Mobilitätsverhalten liefern könnte, treffen deshalb noch nicht auf die nötige Nachfrage. Auch in der Game- und Filmindustrie ist Rentabilität eine Herausforderung, denn dort sind statt skalierbaren und somit wirtschaftlich nachhaltigen Modellen oft aufwändige Originale für One-Off-Projekte gefragt.

Metaverse für die Immobilienbranche

Bei Nomoko hat man deshalb entschieden, sich in einem ersten Schritt auf die Immobilienbranche zu konzentrieren. Irgendwo müsse man anfangen, sagt Kufus. Er vergleicht die Situation mit Amazon. Auch der US-Gigant habe eines Tages mit Büchern begonnen, bevor es als weltweit grösster E-Commerce-Anbieter den Online-Handel revolutioniert habe. Man habe realisieren müssen, dass die schier unendlichen Möglichkeiten von digitalen Zwillingen in einem Marktumfeld nicht immer ein Vorteil sind. Kufus sagt, dass der Plan von Anfang gewesen sei, einen Teil der physischen Welt zu nehmen und diesen zu digitalisieren. «In diesem Prozess haben wir gemerkt, dass Immobilien für uns am meisten Sinn machen. Aktuell ist die Konzentration auf einen Bereich für uns optimal, weil es aus Produktsicht am sinnvollsten ist. Das heisst aber nicht, dass andere Anwendungsgebiete zu einem späteren Zeitpunkt nicht noch folgen werden.»

«Wir gelten bei vielen als das Metaverse für die Immobilienbrache»

So ist Nomoko derzeit so etwas wie eine digital Twin-Plattform für die Immobilienbranche. Das Zürcher Start-Up erstellt Datenrepräsentationen von Objekten, die weit darüber hinaus gehen, dass man virtuell durch eine Wohnung oder ein Haus laufen kann. Aussicht, Umschwung, Lage, Stockwerke, Fläche, Lärmschutz, Möglichkeiten für Solarpanels, Energiesystem, CO2-Bilanz, Preisentwicklung – alles, was für ein Objekt wichtig ist, kann man mit dem digitalen Zwilling bei Nomoko lebensecht erfahren. Nomoko bringt die Immobilienbranche mit modernster Technologie zusammen und lädt weitere Anbieter – unter ihnen etwa die eingangs erwähnten Matterport – auf die Plattform ein. Kufus erklärt denn auch durchaus selbstbewusst: «Wir gelten bei vielen als das Metaverse für die Immobilienbrache».

A3 Marzia de Domenici

Verschiedene Player, verschiedene Verse

Tatsächlich gibt es nicht – ein verbreitetes Missverständnis – das Metaverse. Es gibt viele. Zu den wichtigsten Playern im Metaverse gehören derzeit The Sandbox. Der digitale Token SAND fungiert als Community-gesteuerte Plattform, auf der die Schöpfer Assets und Spielerlebnisse auf der Blockchain monetarisieren können. Decentraland ist ein weiterer wichtiger Anbieter. Er weist eine gewisse Ähnlichkeiten zu The Sandbox auf, da auch hier Grundstücke mit dem eigenen Token gekauft werden können. Auch Somnium Space ist eine VR-Welt, die auf der Ethereum-Blockchain basiert. Als Open-Source-Plattform ermöglicht Somnium Space Nutzern den Kauf von Grundstücken, Häusern oder digitalen Gebäuden sowie Assets aus seinem Online-Multiversum.

A2 Marzia de Domenici

In diesem Umfeld sieht sich auch Nomoko. Für Kufus ist das Metaverse keine Spielwiese, sondern eine funktionale Parallelwelt mit klarem Nutzen. Tatsächlich werde es bald ein bestimmtes Metaverse geben, dass die physische Welt repräsentiert, sagt Kufus. Sonst könnten zum Beispiel autonome Mobilität nicht funktionieren, weil dafür alle auf die gleichen Daten zugreifen können müssen. «Dieses Metaverse muss an die physische Welt gekoppelt sein. Das ist auch unsere Vision».

Dass sich diese Vision des Metaverses nicht unbedingt mit jener deckt, die Mark Zuckerberg propagiert, ist wenig überraschend. «Die Facebook-Vision ist für mich dystopisch», sagt Kufus. Es sei ein bisschen wie im Steven Spielberg-Film «Ready Player One», wo frustrierte Menschen in eine Parallelwelt flüchten, weil der Alltag trist und langweilig geworden ist. «Das ist nicht meine Vorstellung des Metaverse. Ich denke beim Metaverse an ein digitales Abbild der physischen Welt, welches die Infrastruktur für künftige technische Innovationen bildet. Und dieses Metaverse, da bin ich mir sicher, wird kommen.»

Text:

Lukas Rüttimann

Ich mag Menschen, und ich mag Technik. Spannend wird es für mich, wenn sich beide gegenseitig inspirieren. Dann greife ich ganz analog zum Notizblock – und versuche die Geschichte dahinter einzufangen. Denn gewisse Dinge werden für mich immer Handwerk bleiben.

Illustration: Marzia de Domenici

Lesen Sie auch