Elektrische Raketen auf zwei Rädern
Sie verfügen über eine Beschleunigung wie kaum ein anderes Fahrzeug, aber nicht für lange: Elektromotorräder sind wegen fehlender Reichweiten (noch) nicht der Renner, den sie sein könnten. Innovation bieten die Elektro-Geschosse aber alleweil.
Eigentlich müssten Elektro-Motorbikes der stahlgewordene Traum aller Motorradfahrer sein. Mit kaum einem Geschoss sind Speedfreaks so schnell von Null auf Hundert – kein anderes Fahrzeug schafft eine ähnliche Beschleunigung aus der Kurve heraus. Im Nullkommanichts auf Hundert sind jedoch auch die Abwehrreflexe, wenn über E-Motorrräder berichtet wird: Die Online-Kommentarspalten stecken meist randvoll mit Häme, Ablehnung, bisweilen sogar purem Hass.
Während in der Schweiz 2021 rund 17'000 Elektromotorräder zugelassen waren, stieg die Zahl 2022 um 3000 Stück auf knapp über 20'000.
Allen Bösartigkeiten zum Trotz nehmen Elektromotorräder aber langsam Fahrt auf. Denn der Druck, fossile Motoren durch alternative Antriebe zu ersetzen wächst – die CO2-neutrale Fortbewegung wird auch für Motorräder bald zwingend. Ein kleines Türchen für knatternde Verbrenner-Motoren bleibt indessen offen. Dazu aber später mehr.
Während in der Schweiz 2021 rund 17'000 Elektromotorräder zugelassen waren, stieg die Zahl 2022 um 3000 Stück auf knapp über 20'000. Im Vergleich zu den nahezu 800'000 in der Schweiz zugelassenen Motorrädern, ist die Zahl zwar verschwindend klein, doch mittlerweile bringen auch grosse Motorradhersteller wie Ducati, BMW und KTM Elektro-Motorräder auf den Markt.
Spielfeld für Visionäre
Obwohl sich also die grossen Player des Markts regen, gehört die Domäne der E-Töffs derzeit vor allem noch den Tüftlern, Ingenieuren, Visionären und vielleicht auch ein wenig Verrückten. Typen, wie zum Beispiel der Schweizer Tüftler Peter Fässler. Ohne einen Motorradführerschein zu besitzen, baute er aus purer Faszination für Formen und Technologie in seiner Werkstatt im innerschweizerischen Unteriberg einen Elektro-Chopper. Im Alleingang ist ein Bike entstanden, das mit 743 Newtonmeter auf dem Hinterrad wie eine Feuerwerksrakete abgeht und so ziemlich jede andere Strassenmaschine stehen lässt. Zu hören ist dabei lediglich ein hohes Sirren. Egal ob Kühlergrill, Blech, Gestaltung der Bremslichter, Fässler hat alles selbst designt und sogar die Batteriezellen selbst zusammengelötet sowie ein eigenes Batteriemanagement-System entwickelt. Im vergangenen Jahr schaffte es der Tüftler, sein Motorrad für die Strasse zuzulassen und darf es nun in Kleinserie verkaufen – zum Stückpreis ab 66'000 Franken.
Pioniere wie Fässler gab es indessen schon vor über hundert Jahren – und danach immer wieder im Lauf der Zeit. 1895 wurde das erste Zweirad mit elektrischem Abtrieb zum Patent angemeldet. 1928 wurde ein Elektromotorrad vorgestellt, das 30 Kilometer weit fuhr, in den 1940ern entstanden erste Elektroscooter mit einem Tempo von 30 km/h und einer Reichweite von 50 Kilometern. Da sich die Welt aber auf die stets stärker und leistungsfähigeren Verbrenner-Motoren ausrichtete, verschwanden die Elektromotorrad-Konzepte in der Schublade.
Erst im 21. Jahrhundert wurde diese wieder aufgezogen. Als Pionier sorgte 2009 das drei Jahre zuvor gegründete US-amerikanische Unternehmen Zero Motorcycles mit der Strassenmaschine «Supermoto Zero S» für Aufmerksamkeit. Gleichzeitig lancierte der Motorradbauer die elektrische Motocross-Maschine «Zero MX» sowie die Mischform «Zero Dualsport» fürs Gelände und die Strasse. Zero gehört mittlerweile zu den wichtigsten Anbietern von Elektromotorrädern.
Auf E-Töffs spezialisierte Hersteller wie Energica, Tacita oder RGNT Motorcycles setzen dagegen aufs klassische Naked-Bike- und Retro-Design, ebenso die BWM, Harley-Davidson, Ducati und KTM.
Während sich die Zero-Motorbikes eher am Aussehen klassischer Bikes orientieren, sind der Fantasie und dem technischen Gestaltungswillen kaum Grenzen gesetzt. Das finnische Unternehmen Verge Motorcycles zum Beispiel hat mit der Verge TS ein Motorrad lanciert, das ohne Hinterachse auskommt. Das Rad sieht wie ein Donut aus, mit nichts als Luft in der Mitte. Angetrieben wird es mit einem ringförmigen Elektromotor, der das Bike in vier Sekunden auf 100 Km/h katapultiert. Die schwedische Firma Cake hingegen hat ein Bike entwickelt, das Architekten-Herzen schneller klopfen lässt: Mit seinem spartanischen, geometrisch-kantigen Aussehen sieht es aus wie ein Design-Melkschemmel auf zwei Rädern. Noch mehr Freiheit hat sich der Österreicher Johann Hammerschmied genommen: Die Johammer J1.150 sieht mit ihrem retrofuturistischen Erscheinungsbild aus, als wäre sie direkt einem Fritz-Lang-Film entsprungen. Auf E-Töffs spezialisierte Hersteller wie Energica, Tacita oder RGNT Motorcycles setzen dagegen aufs klassische Naked-Bike- und Retro-Design, ebenso die BWM, Harley-Davidson, Ducati und KTM.
Schummeln bei den Reichweiten
Zusätzliche Eleganz erhalten Elektroantriebe durch die Einfachheit ihrer Konstruktion. Während fossile Antriebe aus tausenden beweglichen Teilen bestehen und regelmässig gewartet werden müssen, sind Elektromotoren simpler gebaut und weitgehend fehler- und servicefrei. Angetrieben wird das Rad entweder durch einen Riemen- oder einen Direktantrieb, einen Auspuff sucht man am E-Motorrad vergebens. Das bringt die Wartungskosten herunter.
Ein Elektromotorrad schafft diese Distanz nur unter idealen Bedingungen und bei einem konstanten Tempo von 50 Km/h.
So optisch aufregend die neuartigen Motorräder sind, leiden alle an drei Kinderkrankheiten: fehlender Reichweite, langsamen Ladezeiten und hohem Preis. Der grösste Klotz am Rad der Elektro-Töffs ist die Lithium-Ionen-Batterie mit ihren Eigenheiten. Jeder Kilometer Reichweite verlangt nach mehr Kapazität und damit mehr Grösse und Gewicht. Während Batterien für Elektroautos eine Kapazität zwischen 50 und 100 Kilowattstunden – und damit Reichweiten von mehr als 400 Kilometern – bieten, wiegen sie bis zu 500 Kilogramm. Viel zu viel für ein Motorrad. Die Stromgeber für E-Motorräder erreichen darum aktuell eine Kapazität von etwas über 20 kWh. Zwar versprechen Hersteller wie Ducati oder Energica auch damit Reichweiten von über 400 Kilometer. Doch hier wird geschummelt: ein Elektromotorrad schafft diese Distanz nur unter idealen Bedingungen und bei einem konstanten Tempo von 50 Km/h. Tatsächlich gilt für die meisten Modelle ein Durchschnittswert von rund 150 Kilometern. Das genügt nicht, um die Pässe hochzujagen oder ausgedehnte Touren zu fahren. Auch sind die meisten Batterien nicht fürs Schnellladen vorgesehen –ein paar Stunden Ladezeit müssen in Kauf genommen werden.
Allerdings rollt derzeit Abhilfe in Sachen Reichweite an. Die EVA des italienischen Elektromotorrad-Pioniers Energica Motor Company zum Beispiel verfügt über ein Rekuperationssystem, mit dessen Hilfe die Bremsleistung zurück in Strom verwandelt wird. Hoffnung verspricht auch ein Projekt der ETH Zürich namens ethec city, das 2020 vorgestellt wurde: zehn Student*innen haben das erste Allrad-Elektro-Motorrad entwickelt, bei dem auch das Vorderrad über einen Nabenmotor angetrieben wird. Der Clou: 75 Prozent der Bremsenergie leistet bei Motorrädern das Vorderrad – eine Energie, die mittels Rekuperation zurückgewonnen werden kann. Der Prototyp des ETH-Bikes mit einer Kapazität von 15kWh soll somit eine reale Reichweite von 315 Kilometern schaffen. Zusätzlich wurde eine Ölkühlung konstruiert. Sie verhindert, dass die Batterie unter hartem Einsatz überhitzt und sich ihre Lebensdauer erhöht.
Synthetische Treibstoffe als Killer?
Ob sich die Elektroantriebe bei den Motorrädern durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. Obwohl auch bekannte Grössen wie BMW, KTM und Harley Davidson grosse Elektro-Motorräder auf den Markt bringen, werden sie noch mit zu viel Skepsis betrachtet, um durchzustarten. Auch italienische Supersportler wie die kürzlich vorgestellte Ducati V21L mit 150 PS und einer Maximalgeschwindigkeit von 275 Km/h oder ein Energica EVA mit 109 PS und einem Drehmoment von 200 Nm dienen mehr dem Show-Effekt, als dass sie eine ernstzunehmende Konkurrenz für die fossil angetriebenen Knatterboxen wären. Auch wegen des Preises: Bei 10'000 Franken fängt der Spass an, echte Power und halbwegs anständige Reichweiten gibt’s erst ab etwa 25'000 Franken.
Anders sieht es bei den Elektrorollern, die sich vor allem im städtischen Raum zunehmend etablieren. Ein vorzeitiges Aus für E-Motorräder könnte nicht zuletzt aus einer anderen Ecke kommen. Mit Hochdruck wird an synthetischen Treibstoffen geforscht, die aus CO2 gewonnen werden und das Benzin ersetzen sollen. Die Nachteile: Die Energiebilanz zur Herstellung von Synfuels sieht schlecht aus, hinzu kommt der niedrige Wirkungsgrad von Verbrenner-Motoren. Die Vorteile: Die Motoren können unverändert in den Bikes bleiben und dürfen weiterhin laut knattern.
Text: Jan Graber