Vom Labor auf den Menüplan

Fleisch aus Pflanzen ist derzeit in aller Munde: Weil es einerseits schmeckt. Aber auch, weil es ökologischer ist und bei der Herstellung weniger Energie benötigt als sein tierisches Vorbild.

Are we going to eat vegetable meat soon, which is produced in a  "Mini Reactor"? Illustration by Ryan Sanchez

Ethan Brown wollte das Tier loswerden: Das Tier, das Grünzeug fressen muss, Unmengen an Wasser saufen, beides Stunden und Tage mit seinem Verdauungsapparat bearbeiten, um schliesslich die chemischen Bauteile herauszulösen, die es benötigt, um Muskelfleisch aufzubauen. Muskelfleisch, das später als wertvolles Protein in Form von Steak, Filet oder Wurst auf unseren Tellern landet. Für Brown, den Erfinder von „Beyond Meat“ (etwa: „jenseits von Fleisch“), war dieser Prozess zu ineffizient. Wieso stattdessen nicht chemische Bestandteile aus Pflanzen nutzen und Fleisch direkt im Labor herstellen – genau wie ein Tier. Aber ohne Tier, das nur ein langsamer „Bioreaktor“ ist?

Der US-amerikanische Visionär scharte Chemiker, Biologen und Lebensmitteltechniker um sich, die für ihn das Rezept für Pflanzenfleisch herausfinden sollten. Rund zehn Jahre ist das nun her, heute haben viele das Ergebnis dieser Tüftelei schon einmal gegessen: den „Beyond Burger“. Ein Patty aus Erbsenprotein, das riecht, schmeckt und – dank roter Beete – sogar saftet wie Gehacktes.

Tiere sind schlechte Energieverwerter 

Was Brown gemacht hat, nennt sich Foodhacking und ist Teil eines Megatrends: die Technisierung der Nahrungsmittelproduktion, die im Idealfall auf Umwelt, Klima und Tierwohl Rücksicht nimmt.

Das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut bezeichnet das in seinem „European Food Trends Report 2019“ als nichts Geringeres als die „Neuerfindung unseres Essens“.

Das ist auch bitter nötig: Im Jahr 2050 müssen rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde ernährt werden, so schätzt es die Weltgesundheitsorganisation WHO. Das aber wird mit der heutigen Ernährungsweise, die auf tierischen Produkten basiert, nicht funktionieren. Denn Tiere sind schlechte Energieverwerter – eine europäische Kuh beispielsweise muss bis zu 300 Kilogramm fressen, um ein Kilogramm Protein umzusetzen. Dazu besitzt die konventionelle Tierhaltung Schwächen: In unnatürlichen Stallungen werden Nutztiere mit Antibiotika vollgepumpt, sie produzieren Unmengen Methan und bekommen zum schnellen Wachstum hochenergetisches Soja zugefüttert – Soja, das in gigantischen Monokulturen unter intensiver Bewässerung gezüchtet wird und für das sogar Teile des Regenwalds gerodet werden. Der „World Wide Fund for Nature“ schreibt, dass die Sojaproduktion in den letzten 50 Jahren um das Zehnfache gestiegen ist. Auf 269 Millionen Tonnen. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2010 wurden in Südamerika 24 Millionen Hektar Land zu Ackerflächen, einzigartige Lebensräume für Pflanzen und Tiere wurden dabei zerstört. Südamerika hat demnach 17 Millionen Hektar für die Soja-Zucht genutzt – im Jahr 1990. Bis zum Jahr 2010 stieg der Landverbrauch auf 46 Millionen Hektar.

Fleischersatz aus Pilzproteinen

Auf der ganzen Welt forschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen deshalb an ökologischen Fleisch-Imitaten. Einer davon ist Holger Zorn, Professor am Institut für Lebensmittelchemie und -biotechnologie an der Universität Giessen. Auch er versucht, Fleisch im Labor zu charakterisieren und die Architektur aus Aminosäuren, Fett, Spurenelementen, Vitaminen und Wasser nachzubilden. Im Gegensatz zum Beyond Burger aber, der auf Erbsen beruht, gewinnt Zorn seine Protein-Substrate aus Speisepilzen. Das an sich ist noch keine Revolution, denn Fleischersatz aus Pilzproteinen gibt es längst. Das Besondere: Zorn wertet ihre mikrobiologischen Bestandteile auf, das nennt er „Food-Upcycling“. Er erzeugt mit geringem Energie- und Kohlenstoffdioxid-Einsatz besonders hochwertige Proteine, die ernährungsphysiologisch günstig für den Menschen sind. Sie sind also gut verdaulich und lassen sich leicht in Muskeln umwandeln.

Es muss aber auch gut riechen und lecker schmecken, sonst kann das Produkt noch so ökologisch und gesund sein – keiner würde es kaufen,

sagt Zorn.

Er stellt deshalb auch natürliche Aromastoffe mit seinen Pilzen her, die so oder so ähnlich in Fleisch vorkommen. Indem er sie seinen Produkten beisetzt, möchte er ein authentisches und fleischiges Geschmackserlebnis erzielen.

Die Supermarktregale mit Steak-Imitaten und veganen Würstchen werden immer länger. Was aber steckt drin in all den Produkten? Holger Zorn gibt eine Übersicht über die typische Zusammensetzung: „Meist besteht die Basis aus Proteinen aus Soja, Erbsen, Raps oder Lupinen.“ Ausserdem stehen oft auf der Zutatenliste: Färbemittel, meist natürlicher Art, wie etwa der Saft der Roten Beete, Aromen für den Geschmack, Verdickungsmittel, Fettsäuren, meist aus Kokosöl oder Palmöl und zuletzt noch Salz und Wasser.

Galerie von Pilzen

Hoher Salzgehalt sorgt für Kritik

Die Fleischimitate haben damit eine lange Zusatzliste. Es sind sogenannte hochverarbeitete Produkte, die nicht den besten Ruf haben. Weil der Hauptbestandteil aber pflanzlich ist, glauben gleichzeitig viele Konsumenten, dass sie gesünder seien als Fleisch. Was stimmt denn nun? „Darauf gibt es keine pauschale Antwort. 

Tierische Proteine sind den menschlichen näher, daher können wir sie besser verwerten als etwa Erbsenprotein. Auf der anderen Seite haben Pflanzen mehr Ballaststoffe, sind also gut für die Verdauung und haben kein Cholesterin. Im Gegenteil: In den verwendeten Pflanzen stecken sogar Phytosterole, die den Cholesterinspiegel senken“, sagt der Chemiker Zorn.

Ähnlich bewertet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) Fleischalternativen in einer Untersuchung als „ernährungsphysiologisch günstig“. Vor allem lobt sie die Zusammensetzung „hinsichtlich des Gesamtenergie-, des Fett- und Zuckergehaltes“. Mit einer Ausnahme: Für Kritik sorgt der für verarbeitete Lebensmittel typische hohe Salzgehalt. Dabei wird in der öffentlichen Debatte häufig vergessen, dass auch Fleisch- und Wurstprodukte keine reinen Elemente sind. Durch die konventionelle Tierhaltung enthalten sie neben tierischen Hormonen oft Antibiotikarückstände und zum Teil ebenfalls viel Salz, sowie Transfette und Cholesterin. Die Skepsis gegenüber langen Zutatenlisten ist – zumindest im direkten Vergleich mit einem Fleischprodukt – deshalb unbegründet.

Ökobilanz des Pflanzen-Burgers vorbildlich

Bleibt die Frage, wie das Pflanzenfleisch im Vergleich zum tierischen Vorbild in der Ökobilanz abschneidet. Dazu hat das Unternehmen Beyond Meat selbst eine Studie bei der Universität von Michigan in Auftrag gegeben. Die Wissenschaftler sollten die Umweltfussabdrücke eines Beyond Burgers und eines Rindfleischpattys vergleichen. 

Das Ergebnis: Die Bilanz des pflanzlichen Burgers sei vorbildlich, schreiben die Autoren. Die Herstellung setze nur etwa ein Zehntel der Treibhausgase frei, benötige rund die Hälfte an Energie und deutlich weniger Wasser und Fläche. Eingeflossen in die Bewertung sind Energie-, Land- und Wassereinsatz bei der Beschaffung der Zutaten und deren Verarbeitung, sowie Kühl- und Transportwege bis zum Einzelhandel.

Es ist nicht nur die bessere Ökobilanz, welche die Technisierung von Lebensmitteln boomen lässt. Dazu kommt das ideale Timing und die damit verbundene hohe Nachfrage: Auf der ganzen Welt steigt das Bewusstsein für gesunde und ökologische Ernährung. „Das Angebot wird wachsen, weil sich mehr Menschen bewusst ernähren wollen“, sagt Zorn. „Die Lebensmittelindustrie nimmt vor allem Flexitarier ins Visier. Die essen zwar auch mal Fleisch, suchen aber ansonsten pflanzliche Alternativen. Sofern sie gut gemacht und nachhaltig produziert sind.“

Text:

Johannes Giesler Portrait

Ich möchte mit meinen Wissenstexten etwas mehr Verständnis finden und für andere schaffen. Kein Thema, das ich bisher bearbeitet habe, ist Schwarz oder Weiss. Erst im Grau dazwischen wird's spannend. Ich beschäftige mich zurzeit viel mit: gefährlicher Sprache, Zukunftstreiber und veganer Ernährung.

Illustration: Ryan Sanchez

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