CO2-Sauger: Retter der Klimakrise?
Im Kampf gegen den Klimawandel müssen im Laufe des Jahrhunderts Gigatonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnommen werden – mit sogenannten Carbon Dioxide Removal-Techniken (CDR).
Wieso saugen wir nicht einfach das ganze Kohlendioxid aus der Atmosphäre und vergraben es tief unter der Erde oder recyceln es als Rohstoff? Das wäre ein großer Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Stimmt. Und genau den leistet Carbon Dioxide Removal (CDR). Ein Sammelbegriff für Techniken, die CO2 aus Luft oder Abgasen herausfiltern, damit das klimaschädliche Gas unsere Welt nicht noch weiter aufheizen kann.
CDR ist ein Hype. Einerseits, weil es nach einer genialen wie simplen Lösung für das wohl größte Problem unserer Zeit klingt. Andererseits, weil sogar das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) in seinem aktuellen Sachstandsbericht schreibt, CDR sei „unverzichtbar“, um die globalen Emissionen auf Netto-Null zu senken. Und das aus folgendem Grund: In allen durchgerechneten Szenarien, in denen das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht wird, muss CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden.
Ganz ohne CO2 wird es nicht gehen
Nur: Die Techniken sind unausgereift. Von der „Fördermenge“, die laut IPCC in Zukunft notwendig wird, ist CDR meilenweit entfernt. Dieser Umstand ist aber laut dem Bericht „The State of Carbon Dioxide Removal“ vielen Menschen in Entscheidungspositionen unbekannt. So zeigt die erste weltweite Bestandsaufnahme zu CDR-Maßnahmen, dass Regierungen auf der ganzen Welt die Forschung und Entwicklung der Techniken vernachlässigen. Zahlreiche Länder werden das Ziel „Netto-Null-Emissionen“ im Pariser Klimavertrag deshalb verfehlen. Netto-Null bedeutet, genauso viele Mengen klimaschädliche Gase einzufangen, wie auszustoßen – und das geht nur mit CDR. Sonst hätten sich die Länder ein „Null-Emissionsziel“ gesetzt. Und das ist sehr unwahrscheinlich, weil viele Sektoren weiter fossile Energieträger verbrennen werden.
Zahlreiche Länder werden das Ziel „Netto-Null-Emissionen“ im Pariser Klimavertrag deshalb verfehlen.
Klimaforscher Jan Minx ist einer der Autoren des Berichts. Im Januar sagte er bei der Präsentation der Ergebnisse: „Wir sehen eine beträchtliche Lücke, wenn wir die geplanten CO2-Entnahmen in den Klimaschutzplänen der Staaten mit den eigentlich notwendigen Mengen für den Klimaschutz vergleichen.“ Minx hat mit seinem Team modelliert, wie viel mehr CO2 im Jahr 2050 – verglichen mit heute – CDR-Techniken der Atmosphäre entziehen müssten, um die Klimaziele zu erreichen. Ergebnis: die 1.300-fache Menge. Das ist das zurückhaltende Szenario, für den Fall, dass der weltweite CO2-Ausstoß beträchtlich sinkt. In einem anderen Szenario, in dem in den kommenden 27 Jahren weniger CO2 eingespart wird, sind es sogar 4.000-mal mehr.
Minx hat mit seinem Team modelliert, wie viel mehr CO2 im Jahr 2050 – verglichen mit heute – CDR-Techniken der Atmosphäre entziehen müssten, um die Klimaziele zu erreichen. Ergebnis: die 1.300-fache Menge.
2050 ist das Jahr, in dem laut IPCC die globalen Emissionen Netto-Null erreichen sollten. Das Team um Minx hat das Jahr aber nicht nur deshalb gewählt, denn es stellt auch eine Art Zäsur dar. Im Zeitraum davor geht es ihnen zufolge vor allem um Vermeidung und Reduktion von Treibhausgasen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dominierten aber CO2-Entnahmen den Klimaschutz. Ihre Aufgabe: die Restemissionen ausgleichen, die auch in einer auf Nachhaltigkeit getrimmten Welt anfallen. Etwa durch Flugreisen, Tierhaltung oder die Herstellung von Beton.
Vor allem Aufforstung ist bislang effizient
Es geht nur Hand in Hand: Um in Zukunft nicht zu sehr von CDR abhängig zu sein, müssen schnell und tiefgreifend CO2-Emissionen sinken. Gleichzeitig sollen Ausbau und Entwicklung vor allem neuartiger Entnahmemethoden (siehe Infokasten) vorangetrieben werden. Das ist dringend notwendig, fangen sie bislang doch nur marginale Mengen CO2 ein – rund 0,002 Gigatonnen im Jahr. Im Vergleich dazu binden Aufforstung und das Management bestehender Wälder das Tausendfache. Sich aber allein darauf zu verlassen, birgt jedoch eine Gefahr: Folgen des Klimawandels sind schon jetzt vermehrte Trockenheit und häufigere Waldbrände. Deshalb stuft das IPCC die CO2-Speicherung in Bäumen als weit weniger sicher und permanent ein als das Gas in Gesteinsschichten unter die Erde zu leiten, wo es mit der Zeit mineralisiert.
Trotz der großen Bedeutung in Zukunft, sehen die Autor*innen des CDR-Berichts kaum politische Fördermaßnahmen für die Techniken.
Was daran liegen könnte, dass ihr derzeitiger Entwicklungsstand überschätzt wird. Dazu sagte Minx im Januar: „Bei neuartigen Entnahmemethoden – wie zum Beispiel die CO2-Abscheidung und -Verpressung bei der Herstellung von Bioenergie oder das sogenannte Direct Air Capture – stehen wir fast bei Null. Gleichzeitig bestimmen sie die öffentliche Diskussion.“ Deshalb müssten so schnell wie möglich Anlagen im industriellen Maßstab auf die Schiene gebracht werden, vom Himmel fallen würden sie sicher nicht.
2025 soll erstes „Millionen-Tonnen-Kraftwerk“ kommen
Vorbild könnte das Schweizer Unternehmen Climeworks sein. Es betreibt die wohl bekannteste und derzeit größte DAC-Anlage der Welt: „Orca“. Sie steht auf der Hochebene Hellisheiði auf Island und saugt seit 2021 rund 4.000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft. Das Gas wird dann mit Wasser vermischt rund 1.000 Meter in die Tiefe gepumpt, wo es über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren in Basaltgestein aushärtet und so für immer der Atmosphäre entzogen ist. Die Energie für den aufwändigen Prozess bezieht die Anlage aus einem nahegelegenen Geothermalkraftwerk.
Vorbild könnte das Schweizer Unternehmen Climeworks sein. Es betreibt die wohl bekannteste und derzeit größte DAC-Anlage der Welt.
Climeworks bietet bereits jetzt als erstes Unternehmen oder auch Privatpersonen an, CDR für zahlende Kunden abzusauen. Die sind durchaus bekannt: Microsoft, Stripe und Shopify verkleinern auf diese Weise ihren CO2-Fußabdruck. Zumindest ein wenig. Denn die mit Orca eingesammelten Mengen des Klimagases sind im Vergleich zu den Gesamtemissionen der Unternehmen gering. Microsoft selbst schätzte 2020, dass es in dem Jahr rund 16 Millionen Tonnen CO2 emittierte.
Für 2025 plant das isländische Unternehmen Carbon Engineering das erste Eine-Million-Tonnen-Kraftwerk.
Dagegen wirkt auch die Leistung von „Mammoth“ noch winzig. So heißt die zweite Climeworks-Anlage, die gerade gebaut wird und pro Jahr 36.000 Tonnen CO2 einfangen soll. Immerhin: Für 2025 plant das isländische Unternehmen Carbon Engineering das erste Eine-Million-Tonnen-Kraftwerk. Und auch „Dreamcatcher“, eine CDR-Anlage, die in Schottland aufgebaut wird, rechnet mit einer „Fördermenge“ von einer halben bis einer Million Tonnen CO2 ab 2026.
Gegenwind aus Umweltverbänden
Von diesen Leuchtturmprojekten gibt es aber viel zu wenig. Das wird deutlich, setzt man ihre Kapazitäten zu den weltweiten Emissionen ins Verhältnis. Die lagen zuletzt bei rund 37 Gigatonnen, Tendenz steigend. Nach einer Delle während der Coronavirus-Pandemie, erreichte der weltweite CO2-Verbrauch das höchste Niveau seit Aufzeichnung. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts Tausende CDR-Anlagen entstehen müssen. Was aber nicht nur an fehlenden politischen Leitplanken scheitern könnte, sondern auch am Gegenwind aus der Bevölkerung.
Von diesen Leuchtturmprojekten gibt es aber viel zu wenig. Das wird deutlich, setzt man ihre Kapazitäten zu den weltweiten Emissionen ins Verhältnis. Die lagen zuletzt bei rund 37 Gigatonnen, Tendenz steigend.
Längst ist nicht gesagt, dass es Bürgerinnen und Bürger hinnehmen, dass gigatonnenweise Gas unter ihre Dörfer und Städte, Seen und Meere gepumpt wird. Das zeigt beispielsweise eine Äußerung des größten deutschen Umweltverbandes BUND. Der hat sich kürzlich generell gegen Kohlendioxid-Deponien ausgesprochen und den Plan der Regierung verurteilt, „CO2-Endlager im industriellen Maßstab“ zuzulassen. Der Vorsitzende des Verbandes, Olaf Bandt, begründete: „Die Industrie will ihre klimaschädigenden Abgase unter der Nordsee deponieren, anstatt Emissionen zu reduzieren.“ Meere seien aber nicht die Müllhalde der Menschheit.
Gesellschaftliche Frage: Teller oder Speicherung?
„Das ist eine fundamentale Position. Besser wäre, wir würden offen über Gefahren und Chancen der Techniken sprechen“, sagt Danny Otto. Er arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und untersucht seit Jahren, wie Carbon Dioxide Removal in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dazu hat er als Teil eines internationalen Teams eine repräsentative Umfrage in Deutschland, Norwegen, den Niederlanden und Griechenland durchgeführt. Sie zeigt: „Die Menschen sind sich bewusst, dass es technische Risiken gibt. Beispielsweise stehen viele der Lagerung unter dem Meeresboden kritisch gegenüber. Interessant ist aber, dass eine verzögerte Dekarbonisierung als ähnlich riskant angesehen wird.“ Beides hängt deshalb zusammen, weil die Kohleindustrie schon lange Carbon Capture and Storage (CCS) als Lösung anpreist. Ein Verfahren, das CO2 direkt aus Kraftwerksabgasen trennt, damit es verpresst werden kann. Nur: CCS wird in unterschiedlichen Varianten, teilweise schon seit Jahrzehnten, erprobt. Ohne den ganz großen Durchbruch. „Die Technik fasst ein Teil unserer Befragten deshalb als sehr negativ auf“, sagt Otto, „weil sie eine Verlängerung von Kohlekraft bedeuten könnte.“
Und es gibt noch nicht sichtbare Konflikte, die durch mehr Einsatz von CDR zutage treten werden, glaubt Otto: „Einige der Techniken sind sehr flächenintensiv, andere verbrauchen viel Energie und Wasser, wieder andere große Mengen Biomasse. Alles endliche Ressourcen, die Verteilungsfragen aufwerfen.“ Wie diese:
Sollten riesige landwirtschaftliche Flächen mit Monokulturen bepflanzt werden, um damit CO2 aus der Luft zu binden, anstatt Getreide, Obst und Gemüse?
Vorsicht vor Kipppunkten im Klima
„Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen werden entscheiden, wie schnell der Ausbau von CDR-Techniken vorangeht“, sagt Otto. Für ihn als Soziologen ist eine differenzierte Auseinandersetzung deshalb notwendig. Dabei warnt er allerdings vor einem Narrativ, das schon heute immer wieder in Debatten auftaucht: CDR als „Techno-Fix“. So heißen Innovation, die noch nicht ausgereift sind, hypothetisch aber ein Problem lösen können. Auf den Klimawandel bezogen: Wenn CO2-Entnahmemethoden in Zukunft alle schädlichen Emissionen wieder einfangen könnten, wieso sollten wir unser Verhalten dann im Hier und Jetzt ändern? „Am schlimmsten wäre, wenn Politiker und Politikerinnen CDR als einen Joker präsentieren, der die Klimakrise lösen kann. Denn das stimmt einfach nicht.“ Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse würden zeigen, dass „wir zuerst und drastisch unseren CO2-Ausstoß senken müssen“.
Grund ist dieser: Sollte ungebremst CO2 freigesetzt werden, bis die CDR-Techniken hochskaliert und einsatzbereit sind, heizt sich die Erde weit mehr auf als nur um 1,5 oder 2 Grad. Das würde nicht nur ganze Regionen unbewohnbar machen, sondern auch kritische Kipppunkte erreicht. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung erklärt, dabei handle es sich „um großskalige Bestandteile des Erdsystems“, die ein Schwellenverhalten aufweisen. Lange passiert wenig, bis zu einer Schwelle, dann sterben ganze Korallenriffe ab oder Permafrostböden tauen auf. Das wird wahrscheinlicher, je wärmer es wird. Und: Selbst wenn die Welt später wieder abkühlt, also hinter den Schwellenwert zurückfällt, kann „der neue Zustand eines Kippelementes erhalten bleiben“. Deshalb ist Carbon Dioxide Removal keine gleichwertige Alternative zur Reduktion von CO2.
Jede vermiedene Tonne Kohlendioxid ist deshalb ungleich wertvoller. Soziologe Otto drückt es so aus:
„CO2 wieder einzufangen, kostet uns sehr viel mehr Energie, Wasser, Land und am Ende auch Geld. Trotzdem werden CDR in Zukunft unverzichtbar sein.“