Wettlauf Quantensprung
Der Quantencomputer lernt laufen. Noch steckt er in den Kinderschuhen, doch das disruptive Potenzial ist gross. Die Technologie könnte das klassische Computing einst überflügeln. Konzerne und Regierungen investieren deshalb Millionen in die Forschung. Ein Besuch in den führenden Labors zeigt: Der Fortschritt ist da.
Der Quantencomputer lernt laufen. Noch steckt er in den Kinderschuhen, doch das disruptive Potenzial ist gross. Die Technologie könnte das klassische Computing einst überflügeln. Konzerne und Regierungen investieren deshalb Millionen in die Forschung. Ein Besuch in den führenden Labors zeigt: Der Fortschritt ist da.
Drei Minuten statt 10'000 Jahre. So viel schneller kann ein Quantencomputer eine Aufgabe lösen als ein herkömmlicher Supercomputer. Mit dem Quanten-Chip Sycamore hat Google im letzten Oktober einen Meilenstein erreicht, auf den hunderte von Wissenschaftlern seit Jahren hinarbeiten: Quantum Supremacy – der Beweis, dass die Quantentechnologie herkömmlichen Computern überlegen ist.
Dies war nicht der einzige Durchbruch im Jahr 2019. Bereits im Januar stellte IBM den ersten kommerziell verfügbaren Quantencomputer der Welt vor. Via Cloud können Industrie und Forschung auf das System One zugreifen. Das Interesse an der Wundermaschine ist gross. Unter anderem nutzen Daimler, Samsung und das Cern die Chance, um erste Erfahrungen mit der neuen Technologie zu sammeln.
Bis dahin war es ein weiter Weg. Von Anfang an dabei war Andreas Wallraff, Professor am Quantum Device Lab der ETH Zürich. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den supraleitenden Schaltkreisen, die in Quantencomputern zum Einsatz kommen. Zu Beginn seiner Karriere betrieb der deutsche Physiker in Yale Grundlagenforschung. Nach den ersten erfolgreichen Versuchen begann er an den Quantencomputer zu glauben. «In all den Jahren hat niemand einen Grund gefunden, warum es nicht funktionieren sollte», sagt er. Heute ist die Technologie soweit ausgereift, dass damit gearbeitet werden kann. Doch Wallraff gibt zu bedenken: «Quantencomputer können erst sehr kleine Aufgaben bewältigen. Die meisten davon könnte man auch mit einem Mobiltelefon lösen.»
Höchstleistungen bei minus 273 Grad
Während klassische Prozessoren mit Bits rechnen, kommen bei Quantencomputern Qubits zum Einsatz. Diese befinden sich bei Operationen in Überlagerungszuständen, in der Quantenmechanik Superposition genannt. Dadurch können sie mehr leisten als die binären Nullen und Einsen klassischer Computer, zumal das quantenmechanische Prinzip der Verschränkung eine höhere Informationsdichte erlaubt. Das neuste Modell im Labor der ETH verfügt über 8 Qubits und schon bald sollen es 17 sein. Der Sycamore-Chip von Google rechnet bereits mit 53 Qubits, doch das reicht bei weitem nicht aus, um komplexere Aufgaben zu lösen. «Zurzeit weiss niemand, wie wir auf die tausenden von Qubits kommen sollen, die für einen breit einsatzfähigen Quantencomputer nötig wären», sagt Andreas Wallraff.
«Niemand weiss, wie wir auf die tausenden von Qubits kommen sollen, die für einen breit einsatzfähigen Quantencomputer nötig wären.» Andreas Wallraff, Professor Quantum Device Lab ETH Zürich
Das Problem: Quanten-Chips sind deutlich anfälliger auf Störungen als herkömmliche Prozessoren. Sie reagieren empfindlich auf Vibrationen und funktionieren nur nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur, bei minus 237,135 Grad Celsius. Deshalb stecken Quantencomputer unter riesigen Kühlelementen und hängen an der Decke in der Schwebe. Doch auch Interferenzen im Schaltkreis können den Überlagerungszustand der Qubits stören. Die Folge sind Berechnungsfehler. Und je mehr Qubits zusammenarbeiten, desto schwieriger ist es, die Störungen in den Griff zu kriegen. Dies macht die Systeme nur schwer skalierbar.
Neben besserer Hardware braucht es auch bessere Software. Daran arbeitet Christa Zoufal. Die Physikerin hat sich auf Quantenalgorithmen spezialisiert. «Schlaue Algorithmen korrigieren die Fehler der Hardware bis zu einem gewissen Grad oder machen sich diese gar zunutze», sagt sie. Die Wienerin doktoriert an der ETH und arbeitet im Schweizer Forschungszentrum von IBM in Rüschlikon. «Der Fortschritt ist da», stellt Zoufal erfreut fest. «Die neuste Generation von Quanten-Chips erzielt beeindruckende Resultate.» Zum Beweis zeigt die Forscherin eine Grafik mit den jüngsten Resultaten aus einem Training mit einem Machine-Learning-Quantenalgorithmus.
Aufbruchstimmung in der Quanten-Community
IBM gehört zu den Pionieren der Quantentechnologie. Bereits 2016 hat der IT-Riese Qiskit lanciert, eine Open-Source-Software, die heute über 160'000 User zählt. In der Community tauschen sich Programmierer, Mathematiker, Physiker und Chemiker aus. Es herrscht Aufbruchsstimmung: «Leute aus den verschiedensten Disziplinen sind gerade dabei, Quantum Computing zu definieren», sagt Zoufal. Die Community helfe, Anwendungsideen zu entwickeln. Noch ist erst ansatzweise klar, wie der Quantencomputer einst seine Vorteile ausspielen soll. Bei IBM spricht man im Gegensatz zu Google nicht von Quantum Supremacy, sondern von Quantum Advantage. Denn so viel steht fest: Quantencomputer sind eine komplementäre Technologie und werden herkömmliche Computer nicht vollständig ersetzen.
«Der Fortschritt ist da. Leute aus den verschiedensten Disziplinen sind gerade dabei, Quantum Computing zu definieren.» Christa Zoufal, IBM Research Zurich
Die naheliegendste Anwendung ist die Simulation von komplexen Molekülen, da diese den Gesetzen der Quantenmechanik folgen und mit dem binären Computing kaum abzubilden sind. «Wer die Natur simulieren will, macht dies am besten mit Quanten», sagte der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feymann schon vor fast 40 Jahren. So soll die Technologie etwa bei der Entwicklung von Medikamenten helfen oder die Tür zu neuen Materialien aufstossen. Mittlerweile können immerhin bereits Grundzustände von einfachen Molekülen berechnet werden. Der limitierende Faktor ist die Kohärenzzeit, die heute bei 150 Mikrosekunden liegt. Innert dieser Frist muss ein Algorithmus abgeschlossen sein, sonst ist das Resultat verfälscht oder gar nicht mehr messbar.
Das Team, in dem Christa Zoufal forscht, entwickelt zusammen mit Banken wie JP Morgan Chase und Barclays Anwendungen für den Finanzbereich. Hier soll die Technologie bei Portfolio-Optimierungen oder Risikoanalysen zum Einsatz kommen. Zoufal geht davon aus, dass für solche Anwendungen rund 1'000 Qubits nötig wären, sofern deren Fehlerquote gering genug ist. Mittlerweile ist IBM wie Google bei 53 Qubits angelangt. Im September 2019 hat der IT-Konzern in New York ein neues Quanten-Rechenzentrum eröffnet, wo vierzehn Prozessoren im Einsatz stehen.
Ein Pionier: Andreas Wallraff forscht seit über 20 Jahren an supraleitenden Schaltkreisen. Seit 2012 doziert er am Quantum Device Lab der ETH Zürich.
Spezialistin für Algorithmen: Christa Zoufal entwickelt bei IBM Research Zurich erste Anwendungen für Quantum Computing im Finanzbereich.
Entwickelt für den Quanten-Boom: Sadik Hafizovic, CEO von Zurich Instruments, beliefert Labors mit Equipment für Experimente mit Quantencomputern.
Weltweites Wettrüsten
Im Rennen um den Quantencomputer mischen nicht nur etablierte IT-Giganten mit, sondern auch junge Firmen wie das US-Startup Rigetti, das bereits über 50 Millionen Dollar an Venture Capital gesammelt hat. Und die Weltmächte pumpen Geld in die Forschung, allen voran Amerika und China. Europa lässt sich die EU das Förderprogramm Quantum Flagship eine Milliarde Euro kosten. Die Situation erinnert an den Wettlauf zum Mond oder gar an das atomare Wettrüsten im Kalten Krieg – rund um die Welt arbeiten Wissenschaftler an einer neuen Technologie, die ebenso revolutionär wie gefährlich ist. Das Schreckensszenario: Ein Quantencomputer hebelt die Kryptografie aus. Die kniffligen Algorithmen der heutigen Cyber-Sicherheit wären chancenlos und alle Daten der Welt im Nu gehackt.
Das ungeheure Potenzial der Technologie setzt die Regierungen unter Druck: «Keiner will das Rennen verlieren. Solange es eine Chance gibt, den Quantencomputer produktiv zu machen, werden alle dranbleiben», sagt Sadik Hafizovic, CEO von Zurich Instruments. Das ETH-Spin-off versorgt weltweit Labors mit Geräten, um Qubits zu messen. Hafizovic kennt viele Akteure im globalen Wettstreit persönlich, auch die chinesischen Professoren. «Kein Land investiert so viel wie China», beobachtet der Unternehmer. Dennoch steigen die Erfolgschancen durch mehr Manpower nur bedingt. «Es braucht die richtigen Leute – und die sind in China, Europa und Amerika ähnlich rar.»
«Keiner will das Rennen verlieren. Solange es eine Chance gibt, den Quantencomputer produktiv zu machen, werden alle dranbleiben.» Sadik Hafizovic, CEO Zurich Instruments
Neben Nationen und Konzernen rennen drei Forschungsansätze um die Wette: Die superleitenden Schaltkreise haben Konkurrenz von halbleiterbasierten Spin-Qubits und Ionen-Fallen erhalten. Eine Prognose, wann es zum Durchbruch kommt, wagt kaum ein Experte abzugeben. Die Boston Consulting Group sagt voraus, dass die Wirtschaft frühestens in zehn Jahren von der Technologie profitieren wird. Die ominöse Wunderwaffe, der sogenannte universelle Quantencomputer, dürfte noch deutlich weiter entfernt sein. ETH-Professor Andreas Wallraff vergleicht die Entwicklung mit der Erfindung des Transistors in den 1940er-Jahren, die den Grundstein für die moderne Elektronik legte. Bis die Computertechnologie beim Konsumenten ankam, dauerte es Jahrzehnte. Und das Smartphone hat damals erst recht niemand kommen sehen.
Gallery of the ETH Laboratory
Fotografie und Text: